
BAD HONNEF. „Das Coronavirus hat schlagartig unsere Lebenssituation gravierend verändert. Es ist absehbar, dass wir hier in Europa glimpflich davonkommen werden, doch auf dem Kontinent Afrika sieht das ganz anders aus.“ Es sind zutiefst alarmierende und bedrückende Berichte, die Gudula Meisterjahn-Knebel, Stiftungsvorstand der „Aktion Weltkinderhilfe“, derzeit von ihren Projektpartnern erhält – nicht nur aus Afrika, sondern auch aus Indien und Guatemala. Sie erzählen vom verzweifelten Kampf ums Überleben, von zunehmendem Hunger, von Angst und Hoffnungslosigkeit.
„Falls dieser Spuk sich dermaßen weiterentwickelt wie in Europa, befürchte ich, dass hier mehr Leute verhungern werden, als am Virus sterben“, schreibt Angelika Ehrle, die Gründerin von Deepam, eines Projektes im südindischen Auroville, das sich für Kinder mit körperlichen und geistigen Behinderungen einsetzt – eine Einschätzung, die auch Projektverantwortliche in anderen Ländern teilen.„Die Situation fast all unserer Projekte weltweit führt uns gerade schmerzhaft vor Augen, was eine Pandemie wirklich bedeutet“, so Meisterjahn-Knebel. Sie ist überzeugt, dass die Bad Honnefer Hilfsorganisation in diesem Jahr noch viel mehr Spenden benötigen wird, um die ärgste Not zu lindern. Bislang wurden seit Gründung der Stiftung im Jahr 2005 mehr als drei Millionen Euro ausgeschüttet, um Not leidenden Kindern zu helfen. Die Liste der Projekte, mit denen die Weltkinderhilfe teils schon Jahre zusammenarbeitet, reicht von Asien über Afrika bis nach Lateinamerika. Zudem werden mit dem Kinderhospiz Sterntaler und dem Verein „Sterntaler“ auch zwei Initiativen im Rheinland unterstützt.„Seit der erste Fall des Coronavirus im März in Kenia gemeldet wurde, änderte sich auch in Shangilia vieles“, berichtet Anja Faber, Vorsitzende des Schulprojekts „Tumshangilieni Moto“ in Nairobi, das sich speziell für Straßenkinder einsetzt. „Alle Schulen wurden sehr kurzfristig geschlossen. Die Kinder aus dem benachbarten Slum dürfen derzeit nicht zu Shangilia kommen, was allen Angestellten und uns besondere Sorgen bereitet.“ Die Situation der meisten Menschen in Nairobi sei in Zeiten des Lockdown prekär. „Das Haus nicht verlassen zu dürfen, bedeutet für eine Mehrzahl der Kenianer, dass ihre Existenz bedroht ist.“Faber erzählt von dem kleinen Abel Msiri, der sonst die Schule in Shangilia besucht. Er ist sieben Jahre alt und lebt mit seinen beiden Geschwistern und seinen Eltern auf rund zehn Quadratmetern. „Eine Toilette, ein Waschbecken, eine Küche – all das gibt es hier nicht.“ Die Mutter verdient ein bis zwei Euro am Tag, wenn sie die Wäsche reicher Menschen waschen kann. Doch nun ist auch diese Einkommensquelle versiegt. Und so wie Familie Msiri geht es den meisten Menschen in der kenianischen Metropole. „Wenn die Kontaktverbote wegen des Coronavirus noch lange aufrechterhalten werden, werden die Menschen in den Slums verhungern“, befürchtet Faber.Nicht viel anders ist die Situation in Burkina Faso. Das bitterarme westafrikanische Land leidet derzeit nicht nur unter der Corona-Pandemie, sondern auch unter großer Hitze. „Neben dem Dengue-Fieber und anderen Infektionen nun auch noch Covid-19“, so Rakieta Poyga, Präsidentin der Association Bangr Nooma, die ein von der Weltkinderhilfe unterstütztes Ausbildungszentrum für Jugendliche in Ouagadougou betreibt. Die Bevölkerung habe kaum Zugang zu sauberem Wasser. Dieses werde bereits in größeren Behältern zu horrenden Preisen gehandelt.„Ein großes Problem ist die Ernährung, da nur noch kleine Lebensmittelläden geöffnet haben dürfen. Die Wandermärkte sind geschlossen, mit der sich die Mehrzahl der Bevölkerung am Leben erhält. Die meisten Menschen sind so arm, dass sie nur von der Hand in den Mund leben.“ Seit dem 27. April gilt auch in Burkina Faso eine Maskenpflicht. Das Team des Centre des Métiers versucht derzeit, für jeden der 96 Schüler zwei Masken zur Verfügung stellen zu können. Geplant sind zudem kleine Lebensmittelpäckchen, die die Schüler in der Schule abholen können. „Weil die Schulen geschlossen sind, haben aber auch die Lehrer und die weiteren Mitarbeiter der Schule keinerlei Einkommen.“ Finanzielle Hilfen vom Staat gebe es nicht. „Unschwer wird deutlich, dass auch in diesem Projekt in diesem Jahr mehr Spenden als normalerweise benötigt werden, weil nun der Kampf ums Überleben dazukommt“, so Poyga.www.aktion-weltkinderhilfe.de
Projektleiter berichten
Zusätzlich droht
Elke Zwicker (Südafrika): „Am schlimmsten trifft es die Menschen in den Townships. Vergeblich versucht die Armee, mit brutaler Gewalt die Menschen in ihre Hütten zu verbannen. Wie kann man den ganzen Tag mit seiner Familie in einem Raum von etwa 5 mal 7 Metern ausharren? Wenn sie nicht am Virus erkranken, gehen sie seelisch kaputt.“
Andreas Boueke (Guatemala): „An der Gesundheitsfront sind die Voraussetzungen katastrophal, da es nicht nur die üblichen Risikogruppen gibt, sondern auch die Hälfte der Bevölkerung ihr Leben lang mit Unterernährung zu kämpfen hatte, mit Krankheiten, die nie behandelt wurden, und die vielen Frauen und Kinder, die viel Zeit im Rauch offener Feuerstellen verbracht haben.“
Anja Faber (Kenia): „Nicht zu vergessen die Naturkatastrophe im Dezember 2019: Riesige Schwärme von Wüstenheuschrecken, die alles Grün kahlgefressen haben. Die Pandemie hat diese Katastrophe völlig in den Schatten gestellt und niemand kümmert sich nun darum, die Plage zu bekämpfen. Es wird damit gerechnet, dass die Heuschrecken in den kommenden Wochen beginnen, die Pflanzen, die gerade gesät wurden, zu fressen. Dann würde eine zusätzliche Hungersnot drohen.“
Bericht von Gabriela Quarg, in: General Anzeiger vom 08. Mai 2020
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